Identitätenlotto: „Wie im echten Leben“

Ein Spielbericht aus einem Seminar in der Sozialen Arbeit

von Rebecca Guske (Praktikantin am Braunschweiger Zentrum für Gender Studies, Juni 2018)

Ein Tisch, vielfältige Identitäten. Da sind die zwei emanzipierten Frauen aus Schweden: Die eine ist eine erfolgreiche Journalistin, die glücklich mit ihren zwei Katzen zusammen lebt, die andere geplagt von Zweifeln, weil sie ihren Beruf in Deutschland nicht mit ihrem Kinderwunsch vereinbaren kann. Sie überlegt nach Schweden zurückzukehren, weiß aber nicht, wie ihr Freund dazu steht. Die Dragqueen Gloria G und der italienische Koch Joshua könnten kaum unterschiedlicher leben. Während Gloria G seine sexuelle Orientierung ganz offen lebt, verheimlicht Joshua seiner Frau seit Jahren, dass er eigentlich homosexuell ist. Joshuas Geheimnis raubt ihm seine Ressourcen. Aber auch Gloria G kommt derzeit nicht voran. Andauernd passieren Dinge, durch die er Ressourcen verliert, obwohl er absolut zufrieden mit sich und seiner Lebensweise ist. Dagegen ist der demisexuelle Manfred auf der Überholspur. Mit seiner Arbeit verheiratet, stört es ihn nicht, dass er bisher nicht viele Beziehungen hatte. Er ist stolz auf seine Leistungen und wohl der fleißigste Banker aller Zeiten. Eine steilere Reise kann nur die queere Person aus Österreich vorweisen: Von der arbeitslosen, unglücklichen Identität, die gern Abitur gemacht hätte oder wenigstens eine Ausbildung, hin zu einem Menschen mit einer Idee, einem Plan und einem Erbe.

In einer kleinen Runde von sechs Personen haben wir im Juni 2018 in einem Seminar der Sozialen Arbeit an der Ostfalia HaW das Identitätenlotto gespielt. Nachdem die Idee des Spiels und der Ablauf erläutert waren, legten die Studis sofort los. Anfangs etwas zaghaft begannen sie ihre Charaktere aus den gezogenen fertigen Identitäten zu entwerfen. Die Identitäten bekamen von Runde zu Runde mehr Farbe. Bei jeder Frage, jeder Entscheidung und jedem Ereignis wurde heftig diskutiert. Nach der fünften Runde mussten wir aus Zeitgründen leider aufhören. Aber da haben die Identitäten schon eine weite Reise hinter sich. Die eine hat in ihrer muslimischen Nachbarin eine gute Freundin gefunden, die andere lässt nach einem Wertewandel ihr Geschlecht im Ausweis ändern. In der Auswertung bemerken die Studis, dass sie gleich zu Anfang ein Bild von der Person hatten aufgrund der gezogenen Identität. Der Italiener sei natürlich Koch. Das käme einem sofort in den Sinn. Sie stellen auch fest, was ihre Charaktere aufgehalten oder voran gebracht hat. „Ich hab einfach blöd gewürfelt.“, sagt eine Studentin, „Das ist wie im echten Leben. Manchmal hat man einfach Pech.“

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